Die Reichstagswahl am 5.3.1933 führte zum letzten Mehrparteienparlament im Deutschen Reich. Der Reichstag bestand aus 647 Abgeordneten. Die SPD erhielt 120, die KPD 81, das Zentrum 73, die NSDAP 288 und die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot (KSWR)* 52 Sitze. Die restlichen Sitze verteilten sich auf mehrere kleinen Parteien. Der Wahlkampf der SPD und der KPD wurde durch das Verbot von Veranstaltungen und dem Erscheinen ihrer Publikationen massiv behindert. Hinzu kam, dass bereits zu diesem Zeitpunkt Gegner der NSDAP brutal verfolgt wurden.
Die Gleichschaltung des Reichstages, der Landtage, der Gemeindevertretungen und des gesamten öffentlichen Lebens erfolgte in mehreren Schritten. Der Reichstagsbrand am 27.3.1933, der von der NSDAP als bolschewistischer Terrorakt bezeichnet wurde, führte einen Tag später zu einem Erlass des Reichspräsidenten von Hindenburg, der wesentliche Grundrechte außer Kraft setzte. Dieser Erlass sollte zur „Abwehr kommunistischer Gewaltakte“ dienen. Am 31. März trat das 1. Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich in Kraft. Es bestimmte u.a. die Auflösung der Landtage und der Gemeinderäte und ihrer Zusammensetzung nach den Stimmverhältnissen der Reichstagswahl vom 5.3.1933 unter Ausschluss der auf die KPD entfallenen Stimmen. Damit verlor Friedrich Mahnken, der für die KPD in Ritterhude in den Gemeinderat gewählt worden war, seinen Sitz in der Gemeindevertretung.
In dem 2. Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich wurden für die einzelnen Länder innerhalb des Deutschen Reiches sogenannte Reichsstatthalter eingesetzt, die die Durchsetzung der Reichspolitik auf Länderebene überwachten.
Während auf der ersten Gemeinderatssitzung am 29.3.1933 in Ritterhude nur das ausgeschlossene KPD-Mitglied Friedrich Mahnken fehlte, wurden auf der 2. Sitzung am 24.5.1933 die SPD-Abgeordneten von weiteren Sitzungen ausgeschlossen.
Dazu wurde im Protokoll der Sitzung festgehalten:
„Vor dem Eintritt in die Tagesordnung gedachte der Vorsitzende in ehrenden Worten der neuen Regierung und ließ ein dreifaches Sieg-Heil auf den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und die Reichsregierung ausbringen. Anschließend ergriff der Führer der NSDAP das Wort und forderte auf, das Horst-Wessel-Lied und das Deutschlandlied zu singen. Während des Absingens blieben die Zuhörer D.Meyer Senior und Junior sitzen, sie wurden hierauf von dem Vorsitzenden aufgefordert, den Saal zu verlassen. Anschließend stellte Herr Schlender den Antrag die Fraktion der SPD auf 20 Sitzungen auszuschließen, weil der ihr angehörige Vertreter Tacke in der letzten Gemeindeausschusssitzung am 29. März 1933 in seiner Rede gesagte hatte ` die neue Regierung ist keine Arbeiterregierung, bewusste Klassengenossen schart euch um die rote Fahne, noch nie ist der Arbeiter mehr entrechtet als wie heute.`“
Die Gemeinderatsmitglieder Otto Schlender**, Claus Heilshorn, Arnd Luerßen, Hermann Horst, Diedrich Block und Hinrich Wessels einschließlich des Beigeordneten Kahl stimmten für den Antrag. Der Gemeindevorsteher Evers enthielt sich der Stimme. Die SPD-Mitglieder Verholen, Tacke, Riecken, Meyer und Brünjes votierten dagegen. (1)
Der Ausschluss der SPD-Vertreter aus dem Gemeinderat war letztendlich nur ein kleiner weiterer Schritt in Sachen Gleichschaltung. So wurde die SPD am 22.6.1933 verboten und in den Monaten Juni/Juli erfolgte die sogenannte Selbstauflösung der bürgerlichen Parteien. Mitte Juli 1933 besiegelte das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien endgültig das Ende des Parlamentarismus.
(1): siehe Protokollbuch der Gemeinde Ritterhude Nr.5 vom 29.3.1933-28.3.1935 (das Protokollbuch ist auf Anfrage bei der Gemeinde Ritterhude einsehbar)
Zum Bereich der Gleichschaltung siehe u.a.: Enzyklopädie des Nationalsozialismus hrsg. V.: Wolfgang Benz, Hermann Graml und Hermann Weiß, München 1997
*Die Kampffront Schwarz-Weiß-Rot war ein Zusammenschluss von der Deutsch- nationalen Volkspartei (DNVP) und dem Stahlhelm für die Reichstagwahl am 5.3.1933. Sie erhielt 52 Sitze und sicherte so der NSDAP die Mehrheit im Reichstag.
**Zum Zeitpunkt der Abstimmung war nur Otto Schlender NSDAP-Mitglied. Die weiteren Mitglieder des Gemeinderates, die dem Ausschlussantrag zu stimmten gehörten der Liste „Sachliche Gemeindepolitik“ und der Liste „Sparsamkeit und Gerechtigkeit“ an.
Autor: Manfred Bannow
Veröffentlicht am 4. Oktober 2020